BERLINER MORGENPOST: Deutscher und weiblicher- Leitartikel von Jörg Quoos zu Ursula von der Leyen

BERLINER MORGENPOST: Deutscher und weiblicher- Leitartikel von Jörg Quoos zu Ursula von der Leyen

03 Jul 2019

Berlin(ots) - Kurzform: Aussichtslos sah es für die Kanzlerin aus. Ein Deutscher an der Spitze der Kommission schien unerreichbar. Jetzt wird es eine Deutsche. Nach Angela Merkel als erste Bundeskanzlerin Deutschlands soll jetzt Ursula von der Leyen als erste Präsidentin der EU-Kommission Geschichte schreiben. Wenn das Europäische Parlament zustimmt, ist ein Scoop gelungen. Ein Scoop, der hoffen lässt, dass Europa weiter auf dem Weg der Einigkeit ist und die destruktiven Kräfte kontrolliert werden können. Europa wird weiblicher und deutscher. Das ist gut so.

Der vollständige Leitartikel: Brüssel hat schon viele politische Dramen erlebt. Das jüngste um die Besetzung der EU-Spitze wird allen Beteiligten noch lange in Erinnerung bleiben. Aussichtslos sah es für die Kanzlerin aus. Ein Deutscher an der Spitze der Kommission schien unerreichbar. Jetzt wird es eine Deutsche. Nach Angela Merkel als erste Bundeskanzlerin Deutschlands soll jetzt Ursula von der Leyen als erste Präsidentin der EU-Kommission Geschichte schreiben. Wenn das Europäische Parlament zustimmt, ist ein Scoop gelungen. Ein Scoop, der hoffen lässt, dass Europa weiter auf dem Weg der Einigkeit ist und die destruktiven Kräfte kontrolliert werden können. Nur wenige Insider hatten die deutsche Verteidigungsministerin früh auf dem Radar. Dabei bringt sie alle Fähigkeiten mit, die die 28 Regierungschefs überzeugen konnten. Sie ist Konservative und damit im Lager der Wahlsieger.

Von der Leyen ist nicht nur in Brüssel geboren, sondern hat Europapolitik in allen Ämtern mitgestaltet. Sie verfügt über lange Regierungserfahrung, spricht fließend Englisch und Französisch - und sie kann exzellent mit den beiden wichtigsten Europäern: mit Angela Merkel, die auch in schwierigsten Zeiten im Schleudersitz-Amt Bundesverteidigungsministerium an ihr festhielt.
Und mit Emmanuel Macron, der am liebsten einen Franzosen an der Spitze der EU gesehen hätte. Aber Ursula von der Leyen hat mit ihren zahlreichen Frankreich-Kontakten offensichtlich das Interesse des Franzosen geweckt. Wichtige Verteidigungsinitiativen mit gemeinsamen Auftritten, die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der französischen Verteidigungsministerin und das tiefe Verständnis für die Seele Frankreichs konnten Macrons Vorbehalte offenbar abräumen. Das Ergebnis der chaotischen Präsidentenkür ist eine gute Nachricht für Deutschland. Endlich ist ein europäisches Spitzenamt in der Hand der größten und stärksten Volkswirtschaft. Viel zu lange sind die wichtigsten Posten am EU-Nettozahler Nummer eins vorbeigegangen. Jetzt hat eine deutsche Kommissionspräsidentin Gestaltungsmacht und kann deutsche Interessen in Europa mit der Kraft des Amtes durchsetzen und gleichzeitig mit ihrem diplomatischen Geschick die 28 Regierungschefs zusammenhalten.

Wenn das Europäische Parlament das Personaltableau bestätigt, kann Angela Merkel nach langer Durststrecke endlich einen politischen Sieg verbuchen. Von wegen die Kanzlerin sei unfähig, in Europa politisch "Beute zu machen". Der Sieg für Angela Merkel wiegt umso schwerer, weil sich die Kanzlerin mit Manfred Weber gleich zwei Probleme selbst geschaffen hatte. Sie hatte sich erstens auf einen zu schwachen Kandidaten festgelegt und hatte zweitens nicht die Kraft, ihn am Ende auch durchzusetzen.

Jetzt ist die Kanzlerin im Posten-Poker die Gewinnerin und Manfred Weber der große Verlierer. Das wird die Zusammenarbeit mit der CSU nicht einfacher machen. Auch das Veto führender Sozialdemokraten gegen von der Leyens Berufung wird die Arbeit der großen Koalition noch schwieriger machen. Jetzt muss noch das Europäische Parlament überzeugt werden. Das wird nicht einfach, weil die Ehre der Parlamentarier gelitten hat. Am Ende war es nicht der Spitzenkandidat mit den meisten Stimmen, sondern wieder hat die Hinterzimmer-Diplomatie gesiegt. Es wird viel Mühe und Überzeugungskraft kosten, das Vertrauen des Parlaments zurückzugewinnen. Aber die erste deutsche Präsidentinnenschaft in Brüssel überstrahlt das alles. Europa wird weiblicher und deutscher. Das ist gut so.

Quelle: obs/Berliner Morgenpost Redaktion

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